EUGH veruteilt Banken zum Schadensersatz gegenüber Anlegern

Fachartikel

Buxtehude: Nur langsam bahnt sich die Rechtsprechung den Weg durch das Dickicht der kreditfinanzierten Steuersparimmobilie, unter den enttäuschten Anlegern auch gegeißelt als sog. „Schrottimmobilie“. Eine Rückblende: In den 90er Jahren wurde vielen Haushalten vorgegaukelt, sie könnten ohne den Einsatz von Eigenkapital Eigentümer einer Immobilie werden. Die Steuerersparnisse aufgrund von Abschreibungen auf die zu 100% mit Fremdkapital finanzierte Eigentumswohnung sowie die Erträge aus der Vermietung der Wohnung würden ausreichen, die Kreditzinsen sowie die Tilgung des Kredites zu gewährleisten. Auf diese Art und Weise würde die Wohnung nach und nach in das Vermögen des Immobiliensparers übergehen.

 

Doch die Rechnung ging nicht auf. Ohne Rücksicht auf ihre spätere Vermietbarkeit wurden gebrauchte Immobilien notdürftig hergerichtet, oder neue Immobilien an peripheren Standorten erstellt. Übertriebene Kaufpreise, hohe Vertriebsgebühren, nicht marktgerechte Darlehenszinssätze, nicht erzielbare Prospektmieten sowie die Insolvenz der Mietgarantiegeber bewirkten dann ein übriges, um das Engagement in die Verlustzone zu manövrieren. Statt des erwarteten Vermögenszuwachses durch die Immobilie erfüllten die Privatanleger ihre Kreditverpflichtungen nur noch durch den Griff in die Privatschatulle. Die Anleger fühlten sich betrogen und mutmaßten, daß den Initiatoren von vornherein bekannt gewesen wäre, daß sich ein derartiges Engagement für den Anleger nicht rechnen würde.

 

In der Folgezeit ging es somit nur noch darum, sich aus dem notleidenden Engagement zu befreien. Doch viele der ehemaligen Vertragspartner waren bereits insolvent. Häufig verblieb deshalb letztlich nur noch die Kreditgeberin gegen die ein entsprechender Anspruch gerichtet werden konnte. Die Rechtsfiguren, unter denen das Kreditinstitut für den Ausgleich der entstandenen Schäden oder zur Rückabwicklung des gesamten Engagements mit herangezogen werden sollten, waren a) das vorvertragliche Verschulden, b) ein etwaiger Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz, wenn sog. Treuhänder, die der spätere Eigentümer nach den Vorgaben des Vermittlers zu beauftragen hatte, den Kauf der Immobilie und die Unterzeichnung des Darlehensvertrags vornahmen, c) Formverstöße bei Abschluß des Verbraucherdarlehensvertrages aber auch d) Verstöße gegen die Belehrungspflicht bei sog. Haustürgeschäften.

 

Der Europäische Gerichtshof hatte am Herbst 2005 im Rahmen zweier Vorlageverfahren über die Rechtsprechung des BGH zu Haustürgeschäften zu befinden. Im Zentrum der beiden Urteile steht die Frage nach den Rechtsfolgen, die eintreten, wenn der Kleinanleger, der nicht über sein Haustürwiderrufsrecht bei Vertragsabschluß belehrt wurde, das schwebend unwirksame Darlehen später widerruft.

 

Zunächst zum ersten EuGH-Urteil: Aus dem Umstand, daß der EuGH mit Blick auf die Widerrufsfolgen sich ganz überwiegend der Rechtsprechung des BGH anschließt, könnte leichtfertig geschlußfolgert werden, daß letztlich doch alles beim Alten geblieben ist und den Verbrauchern tatsächlich nur die bescheidenen vom BGH eingeräumten Rechte zur Verfügung stehen: Immobilienkaufvertrag und Darlehensvertrag stellen keine wirtschaftliche Einheit dar, deshalb erstrecken sich die Rechtsfolgen des Widerrufs nicht auf den Immobilienkaufvertrag. Wer einen Darlehensvertrag widerruft, hat umgehend die Darlehensvaluta an die Bank zurück zu überweisen. Für die Vergangenheit, in der er das schwebend unwirksame Darlehen nutzte, schuldet er eine marktübliche Verzinsung.

 

Doch diese Sichtweise verkennt, daß der EuGH neben die Widerrufsfolgen faktisch einen eigenen Schadensersatzanspruch gestellt hat, der denjenigen Darlehensgeber trifft, der seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Belehrung über das Widerrufsrecht nicht nachgekommen ist. Das deutsche Recht ordnet als Rechtsfolge der unterbliebenen Widerrufsbelehrung einfach nur eine Verlängerung der Widerrufsfrist an, und läßt dann, wenn innerhalb dieser Frist der Widerruf erklärt wird, die normalen Widerrufsfolgen einsetzen (siehe oben). Diese Rechtsfolgen entwerten das Widerrufsrecht weitgehend. Dagegen interpretiert der EuGH die unterbliebene Widerrufsbelehrung als eine Pflichtverletzung der belehrungspflichtigen Bank, an die eine umfangreiche Schadensersatzpflicht anknüpft. Sie erreicht in ihren wirtschaftlichen Folgen jenen Ersatzanspruch durchaus, der gegolten hätte, wenn die beiden Geschäfte, Immobilienkaufvertrag und Darlehensvertrag, von vornherein als verbundenes Geschäft qualifiziert worden wären. Es gibt somit einen Unterschied zwischen den Folgen eines Widerrufs, der bei korrekter Belehrung innerhalb der regulären Frist erklärt wird, und eines Widerrufs, der aufgrund der Belehrungspflichtverletzung erst in der verlängerten Frist erklärt wird. Der EuGH verlangt eine Abwälzung all jener Risiken auf die ihrer Belehrungspflicht nicht genügende Bank, die sich durch die unterbliebene Widerrufsbelehrung konkretisiert haben. Dazu gehört in den meisten Fällen auch der Ersatz des Schadens in bezug auf einen im Weiterverkauf nicht mehr erzielbaren Immobilienpreis, ferner der Schaden aus den aufgezeigten, aber realistischerweise nicht erzielbaren Mieteinnahmen (Tz. 52).

 

Zu vergleichen sind zwei Situationen: Welches wirtschaftliche Ergebnis hätte sich für den Immobilienkäufer eingestellt, wenn er ordnungsmäßig belehrt worden wäre und innerhalb der regulären Widerrufsfrist sein Darlehen widerrufen hätte? Und welche Situation hat sich dadurch realisiert, daß er eben nicht über sein Widerrufsrecht belehrt wurde. Das Urteil des EuGH ist deshalb „ein Meilenstein des Verbraucherschutzrechts, da es bei unterbliebener Belehrung eine Haftung des Unternehmers verlangt, die in ihrem Ausmaß nicht größer sein könnte“, so die Wertung von Priv.-Doz. Dr. iur. Jochen Hoffmann.

 

Weitere Fragen der banklichen Haftung stellen sich im Detail:

 

  1. Ist es möglich die Rechtsfolgen der unterbliebenen Widerrufsbelehrung durch eine nachträgliche Belehrung abzuwenden, die in der Hoffnung erfolgt, der Verbraucher werde es aus Unkenntnis unterlassen, innerhalb der nunmehr rechtmäßig in Gang gesetzten Frist den Widerruf zu erklären? Auf diese Art und Weise kann der Darlehensgeber das Zeitfenster, innerhalb dessen der Verbraucher die Risiken auf die Bank überwälzen kann, erheblich verkleinern. Die Vorschrift des Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie enthält die Angabe eines festen Zeitpunkts für die Belehrung, so daß durchaus bezweifelt werden kann, daß nachträgliche Belehrungen überhaupt noch Wirkungen entfalten können.
  2. Kommt es darauf an, daß die Darlehensnehmer, wären sie korrekt belehrt worden, ihr Widerrufsrecht auch in der Widerrufsfrist ausgeübt hätten? Der EuGH interpretiert die unterlassene Widerrufsbelehrung als den Entzug der Möglichkeit, die negativen Folgen des abgeschlossenen Geschäfts zu vermeiden. Die Haftung knüpft bereits an den Entzug dieser Vermeidungsmöglichkeit an. Auf den Nachweis, daß die Darlehensnehmer bei korrekter Belehrung auch innerhalb der Widerrufsfrist tatsächlich widerrufen hätten, kommt es nicht an.
  3. Haftet ein Darlehensgeber auch dann, wenn die Belehrung ohne sein Verschulden aufgrund höherer Gewalt unterblieb? Anknüpfungspunkt der Haftung ist die nicht erfolgte Belehrung, nicht die schuldhaft nicht erfolgte Belehrung. Er haftet also auch in diesem Fall.
  4. Wie stellt sich die Haftung der Bank dar, wenn zunächst der Immobilienkaufvertrag und erst danach der Darlehensvertrag abgeschlossen wurde? Auch in diesem Fall kommt es darauf an, welche Konsequenzen sich aus dem Entzug der Vermeidungsmöglichkeit ergeben. Erfolgte der Abschluß des Kaufvertrages unter Finanzierungsvorbehalt, so hätte das gesamte Geschäft noch storniert werden können. Mithin trägt die finanzierende Bank auch die Risiken aus dem Immobiliengeschäft. Erfolgte der Kaufvertragsabschluß dagegen ohne Finanzierungsvorbehalt, so hätte sich der Darlehensnehmer durch den Widerruf des Darlehensvertrages und die Nichterfüllung des Kaufvertrages dem Immobilienverkäufer gegenüber entweder schadensersatzpflichtig gemacht oder sähe sich weiterhin dessen Anspruch auf Kaufpreiszahlung ausgesetzt. Ersetzt verlangen kann der Darlehensnehmer hier in der Regel nur denjenigen Schaden, der den berechtigten Kaufpreisanspruch oder den von vom Verkäufer zu recht erhobenen Nichterfüllungsschaden übersteigt. Hier kommt es aber im Einzelfall auf weitere Begleitumstände des Geschäfts an: War der Immobilienkaufvertrag aus anderen Gründen nichtig oder angreifbar (häufig sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises), so treten durchaus Konstellationen auf, unter denen der Bank wiederum entgegengehalten werden kann, daß der Kunde bei rechtzeitiger Widerrufsbelehrung die Geschäfte insgesamt noch hätte rückgängig machen können, ihm dies aber nunmehr (häufig wegen der Insolvenz des Verkäufers) nicht mehr möglich ist.
  5. Wie ist der eingetretene Schaden zu berechnen? In seinem Urteil verweist der EuGH explizit auf die Risiken, a) einen marktlich nicht gerechtfertigten Kaufpreis gezahlt zu haben, b) daß sich die Erwartungen im Hinblick auf die veranschlagten Mieteinnahmen nicht erfüllten, und c) darauf, daß die erwartete Wertentwicklung nicht eingetreten ist. Danach haftet der Darlehensgeber offensichtlich dafür, daß sich die werbenden Aussagen im Hinblick auf das Anlageobjekt nicht erfüllten, eine Haftung auf das sog. Erfüllungsinteresse. Diese Art der Schadensbemessung entspricht jedoch nicht der Höhe der Schäden, die bei korrekter Belehrung hätten abgewendet werden können. Bei korrekter Belehrung hätte der Darlehensnehmer die wirtschaftlichen Folgen des abgeschlossenen Geschäfts in den meisten Fällen durch jene wirtschaftlichen Folgen ersetzt, die dann entstehen, wenn kein Geschäft abgeschlossen wird. Nicht das Wolkenkuckucksheim des beworbenen Geschäfts ist damit Vergleichsgrundlage der Schadensbemessung, sondern der Zustand ohne den abgeschlossenen Darlehensvertrag, eine Haftung auf das sog. negative Interesse.
    Folgt man ausschließlich dem Urteil des EuGH, so gehört zu jenen auf den Darlehensgeber abwälzbaren Risiken wahrscheinlich nicht, die Immobilie auch an diesen zu übertragen, denn dann würden sich die Rechtsfolgen des verbundenen Geschäfts mit den Rechtsfolgen der Schadensersatzhaftung decken. Das Bestehen eines Verbundgeschäftes zwischen Darlehens und Immobilienkaufvertrag hatte der EuGH aber bereits abgelehnt. Gleichwohl kann durch nationales Recht eine weiterreichende Rechtsfolge angeordnet werden. Ins Spiel kommt dabei die in § 249 BGB festgelegte Pflicht der Naturalrestitution: Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Insoweit kann also möglicherweise mit dem Widerruf auch die Rückgabe der Immobilie an die Bank gefordert werden. Befindet sich die Bank mit der Rücknahme der Immobilie in Verzug, so trägt sie auch die weiteren Risiken, die sich aus der versäumten Abnahme ergeben (§ 246 BGB), insbesondere das Risiko eines Mindererlöses, wenn sich der Anleger deshalb für einen eigenhändigen Verkauf entscheidet.
    Entscheidet sich der Anleger dagegen für den Schadensersatz in Geld, so ist wahrscheinlich der für den Bewertungsstichtag festgestellte Immobilienwert maßgeblich. Er ist von der Schadensersatzforderung abzusetzen. Als Bewertungsstichtag heranzuziehen ist dann jener Termin, zu dem der Darlehensnehmer den Widerruf erklärte. Wenn er sich von der Immobilie lösen möchte, so steht es ihm von diesem Termin an frei, diese zum Verkehrswert zu veräußern. Etwas anderes kann nur gelten, wenn die Immobilie zwar einen Wert trägt, sich jedoch als unveräußerbar erweist. In diesem Fall sollte die Haftung des Darlehensgebers für die Verluste aus der Immobilie über den Bewertungsstichtag hinausreichen.
  6. Wann verjährt der Schadensersatzanspruch? Schadensersatzansprüche aus § 280 BGB verjähren unabhängig davon, welche Kenntnis der Geschädigte hatte, zehn Jahre nach Anspruchsentstehung (§ 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB). Für den Lauf der Verjährungsfrist kommt es maßgeblich auf die Entstehung des Anspruchs an (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Der Anspruch entsteht mit dem Widerruf.
    Grundsätzlich verjähren Schadensersatzansprüche jedoch bereits in der Regelverjährungsfrist von drei Jahren (§195 BGB). Dafür muß der Gläubiger (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB), bevor die Frist in Gang gesetzt wird, Kenntnis von jenen den Anspruch begündenden Umständen und der Person des Schuldners haben (ausgenommen grob fahrlässige Unkenntnis). Zu dieser Kenntnis gehört nach allgemeinem Verständnis nur die Tatsachen, nicht jedoch die Rechtskenntnis. Problematisch sind jene Fälle zu betrachten, unter denen der Widerruf bereits mehr als drei volle Kalenderjahre zurückliegt. Eine richtlinienkonforme Auslegung des EuGH-Urteils verlangt indes, daß auch in diesen Fällen die Verjährung noch nicht eingetreten ist. Mithin ist als weiterer, den Lauf der Frist erst ermöglichender Umstand auch die Kenntnis des hier dargestellten EuGH-Urteils von Belang.
  7. Was gilt in bezug auf die bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren? Der Schadensersatzanspruch aus der Verletzung der Belehrungspflicht stellt möglicherweise eine andere Form der Pflichtverletzung dar als die bisher in die Prozesse eingebrachten Vorwürfe der Verletzung von Aufklärungspflichten. Dieser Aspekt ist im Einzelfall zu prüfen. Der Streitgegenstand wäre dann ein anderer. Würden deutsche Gerichte einer anderen Interpretation zuneigen, würden sie wiederum gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen, geht es doch um eine konforme Umsetzung der EU-Richtlinie

 

Das zweite Urteil des EuGH enthält insoweit keine weiteren Neuigkeiten, als es die Grundsätze der ersten Entscheidung weitgehend rezipiert. Bemerkenswert sind lediglich die Aussagen des EuGH zur Zurechnung der Haustürsituation. Nicht selten kommt es vor, daß sich die Darlehensgeberin bei Vertragsanbahnung und -abschluß durch einen Dritten vertreten läßt. Während der BGH unter Verweis auf § 123 Abs. 2 BGB, nachdem eine arglistige Täuschung dem Vertretenen nur dann zugerechnet werden kann, wenn dieser das Verhalten seines Vertreters kannte oder zumindest kennen mußte, die Haustürsituation einer Bank beim Fehlen dieser Voraussetzungen nicht zurechnen wollte, sieht der EuGH für zusätzliche Voraussetzungen der Zurechnung keinen Raum: Nach Art. 2 der HaustürgeschäfteRichtlinie sind Personen, die im Namen des Gewerbetreibenden und auf seine Rechnung handeln, dem Gewerbetreibenden ohne weitere Voraussetzungen automatisch gleichgestellt. Zwar spielte die Frage der Zurechnung nur in solchen Fällen eine Rolle, unter denen lediglich die Vertragsanbahnung in der Haustürsituation erfolgte – diese Fälle erfaßt die EU-Richtlinie nicht – gleichwohl hatte sich der BGH bereits vorab darauf festgelegt, eine richtlinienkonforme Anwendung des Haustürwiderrufsrechts auch auf solche Fälle zu erstrecken, die zwar von der EU-Richtlinie nicht erfaßt werden, wohl aber im deutschen Haustürwiderrufsrecht geregelt werden.

 

Fazit bleibt, daß die deutschen Gerichte die neu aufgeworfenen Verfahren nicht mehr nur nach nationaler Rechtsdogmatik werden entscheiden können, denn der EuGH wird in weiteren Verfahren stets darauf achten, daß die deutschen Gerichte das nationale Recht richtlinienkonform anwenden.

 

 

Autor
Susanne Hahn
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Prof. Dr. Klaus Wehrt
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