Viele Kleinanleger dürfen jubeln. Das gestrige Urteil des BGH (Urteil vom 09.04.02 Az: 37/2002) stärkt das Vertrauen vieler Verbraucher in die Rechtsordnung. Insbesondere Kleinsparer wurden in den vergangenen Jahren durch drückerkolonnenmäßige Vertriebspraktiken beim Verkauf und der Finanzierung von Eigentumswohnungen an den Rand des Ruins getrieben.
Unterzeichneten sie seinerzeit Kreditverträge, ohne über ihr Widerrufsrecht schriftlich belehrt worden zu sein – diese schriftliche Belehrung ist vom Darlehensnehmer separat mit einer eigenen Unterschrift zu quittieren –, so können sie diese noch nach vielen Jahren Kredite widerrufen. Voraussetzung dafür ist, daß die Initiative zum Abschluß des Vertrags nicht vom Bauherren oder Immobilienkäufer, sondern vom Kreditgeber oder dessen Vermittler ausging.
Die Vorlage zu diesem höchst brisanten Urteil erhielt der Bundesgerichtshof vom Europäischen Gerichtshof. (Entscheidung vom 13.12.2001 Az.: C-481/99). Der BGH hatte die brisante Frage zur Vorabentscheidung selbst an den EuGH weitergeleitet. Sein Entscheidungsspielraum war somit nicht mehr weit.
Der Aktienkurs der HypoVereinsbank sackte sogleich nach Bekanntwerden des Urteils um 3 Prozent. In die strukturvertriebsmäßige Versorgung von Kleinsparern mit sog. Steuersparimmobilien ist nämlich die bayerische Großbank besonders verstrickt.
Von der für das BGH-Urteil maßgeblichen „Haustürsituation“ sprechen Juristen, sofern der erste Kontakt zum Abschluß des Geschäfts
- am Arbeitsplatz oder in der Privatwohnung des Verbrauchers,
- anläßlich einer Freizeitveranstaltung,
- oder in Verkehrsmitteln bzw. auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen
erfolgte.
Bringt der Bauträger den Finanzierungsvermittler unaufgefordert zum Verkaufsgespräch mit, das in den Räumen des Verbrauchers stattfindet, so ist die Haustürsituation gegeben. Gleiches gilt, wenn der Mitarbeiter des Strukturvertriebs nicht nur die Immobilie, sondern unaufgefordert zugleich das Darlehen mit zu verkaufen sucht.
Betroffene Darlehensnehmer können das ausgeliehene Darlehen jederzeit widerrufen.
Zwar liegt das Urteil des BGH noch nicht mit seinen Entscheidungsgründen vor. Doch bereits heute lassen sich die Auswirkungen abschätzen. Darlehensverträge, die aufgrund des Urteils von den Anlegern widerrufen werden oder bereits widerrufen wurden, gelten als nicht zustandegekommen. Mithin kann der Darlehensnehmer, die in der Vergangenheit gezahlten Zinsen, Bearbeitungsgebühren, Bereitstellungszinsen oder ein etwaiges Disagio vollständig zurückverlangen (inkl. Verzinsung), denn ein Rechtsanspruch der Bank auf diese Zahlungen bestand nicht.
Rechtlich noch nicht zweifelsfrei geklärt ist dagegen die Frage, ob der Verbraucher das erhaltene Darlehenskapital an den Kreditgeber zurückzuzahlen hat. In den meisten Fällen wanderte der Kredit direkt in die finanzierte Immobilie, so daß die Immobilie zwar vorhanden, das Kapital jedoch weg ist.
Noch im Jahr 1996 hatte der BGH (ZIP 1996, 1940) geurteilt, daß immer dann, wenn das Finanzierungs- und das Anlagegeschäft (der Immobilienkauf) als eine wirtschaftliche Einheit zu betrachten sind, bei der das eine Geschäft ohne das andere nicht zustandegekommen wäre, eine Pflicht des Geschädigten nicht besteht, das Darlehenskapital zurückzuzahlen.
Dagegen steht ein Urteil des BGH aus dem Jahr 1999 (ZIP 1999, 653). Der Landwirt, der sich auf Anraten eines Finanzierungsvermittlers in windige kreditfinanzierte Fremdwährungsgeschäfte verstrickte, konnte sich der Bank gegenüber nicht darauf berufen, das Finanzierungs- und Anlagegeschäft eine wirtschaftliche Einheit bildeten und mußte somit das volle Darlehenskapital an die Bank zurückerstatten.
Selbst wenn der BGH in einem späteren Urteil zu dem Kunstgriff greifen sollte, daß die erworbene Immobilie und das aufgenommene Darlehen zusammen nicht als wirtschaftliche Einheit aufzufassen sind, das Darlehenskapital somit vom Verbraucher zurückzuerstatten ist, überwiegen die Vorteile aus dem gestrigen Urteil.
Auf ein bereits fünf oder zehn Jahre laufendes Darlehen hat der Kreditnehmer im allgemeinen schon Zinsen und Tilgung in einem Umfang geleistet, der einen Großteil des ehemals ausgezahlten Darlehensbetrags ausmacht. Rechnet man die Kapitalschuld dagegen, so verbleibt vielfach nur noch ein kleiner Differenzbetrag. Die Veräußerung der wirtschaftlich unrentablen Immobilie mag ein übriges dazu beitragen, auch diesen Differenzbetrag auszugleichen. Unterm Strich ist der Anleger sodann noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.
Wichtig: Betroffene, denen in diesen Tagen noch eine nachträgliche Widerrufsbelehrung über ihr siebentägiges Widerrufsrecht zugestellt wird, wird dringend empfohlen vor ihrer Unterschrift anwaltlichen Rat einzuholen. Ebenso sollten Darlehensnehmer, die jetzt ihren Widerruf erklären möchten, einerseits eine gutachterliche Berechnung der gegenseitig zurückzugewährenden Ansprüche vornehmen lassen, andererseits einen Anwalt konsultieren.