Nicht nur die Erwerber von Steuersparimmobilien können ohne Vorfälligkeitsentschädigung zurückzahlen

Fachartikel

Gute Nachrichten für eine Vielzahl verzweifelter Immobilieneigentümer: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, daß auch bei Baufinanzierungsdarlehen ein Widerrufsrecht besteht.

Darlehensnehmer, die in der Vergangenheit Kreditverträge unterzeichneten, ohne über ihr Widerrufsrecht schriftlich belehrt worden zu sein – diese schriftliche Belehrung ist vom Darlehensnehmer separat mit einer eigenen Unterschrift zu quittieren –, können noch nach vielen Jahren laufende Kredite widerrufen. Voraussetzung dafür ist, daß die Initiative zum Abschluß des Vertrags nicht vom Bauherren oder Immobilienkäufer, sondern vom Kreditgeber oder dessen Vermittler ausging.

Die Juristen sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Haustürsituation“. Sofern die erste Kontaktaufnahme zum Abschluß des Geschäfts

-          am Arbeitsplatz oder in der Privatwohnung des Verbrauchers,

-          anläßlich einer Freizeitveranstaltung,

-          oder in Verkehrsmitteln bzw. auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen

erfolgte, liegt eine „Haustürsituation“ vor.

Diese ist zum Beispiel dann gegeben, wenn der Bauträger den Finanzierungsvermittler unaufgefordert zum Verkaufsgespräch, das nicht in den Räumen des Bauträgers stattfand, mitbrachte, oder wenn die Mitarbeiter des Strukturvertriebs nicht nur die Immobilie, sondern zugleich das Darlehen mit zu verkaufen suchten.

Betroffene Darlehensnehmer können das ausgeliehene Darlehen jederzeit widerrufen. Eine ideale Chance für denjenigen, der sich die heute günstigen Zinssätze sichern möchte. Würde er sein Darlehen nicht auf diese Weise vorzeitig beenden können, so hätte er noch bis zum Ablauf der vereinbarten Zinsbindungsfrist den hohen Zinssatz zu bezahlen oder für eine vorzeitige Beendigung eine hohe Vorfälligkeitsentschädigung.

Betroffen sind aber auch die sog. Steuersparer. Viele Kleinanleger wurden durch geschulte Vermittler zu Hause oder bei Freunden und Bekannten zum Kauf von vermieteten Eigentumswohnungen überredet. Vermittelt wurde ebenso die zum Kauf benötigte Finanzierung.

Die Versprechungen waren immer die Gleichen: Durch die Steuerersparnis und die Mieteinnahmen trage sich die Finanzierung wie von selbst und nach wenigen Jahren könne die Wohnung mit Gewinn veräußert werden. Erst spät stellten die Betroffenen fest, daß ihnen weit überteuerte „Schrottimmobilien“ angedient worden waren, und die hohen Belastungen aus den Kreditverträgen nicht tragbar waren, häufig sogar die Existenz bedrohten.

Auch rechtlich war die Sache verfahren. Nach der Rechtsprechung bundesdeutscher Gerichte sollten jedenfalls für die abgeschlossenen Baufinanzierungen Grundsätze nicht gelten, die in anderen Bereichen unseres Rechtsalltags selbstverständlich sind:

Wird man von einem Vertreter zu Hause zum Ankauf eines Staubsaugers überredet, hat man als Verbraucher die Möglichkeit, dieses Geschäft zu widerrufen. Darüber muß der Vertreter den Verbraucher belehren. Erst wenn er dies tut, wird eine Frist von einer Woche in Gang gesetzt, binnen der man sich entscheiden muß, ob es beim Entschluß bleibt oder ob die Unterschrift unter den Vertrag nicht doch nur durch eine Überrumplung zustandekam und man deshalb widerrufen möchte. Erfolgt keine Belehrung kann man jederzeit widerrufen. Dies alles ist geregelt im Haustürwiderrufsgesetz.

Dieser Überrumplungsschutz – bei Alltagsgeschäften selbstverständlich und festgezurrt in einer für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Richtlinie – sollte nach Auffassung von Bankenvertretern und Gerichten, insbesondere auch nach Meinung des Bankensenats beim Bundesgerichtshof, für deutsche Immobilienfinanzierungen ausnahmsweise nicht gelten.

Die akrobatische Begründung: Kreditverträge unterfallen dem Verbraucherkreditgesetz. Als spezielles Gesetz für Kredite verdränge dieses die Regelungen eines allgemeineren Gesetzes, die des Haustürwiderrufsgesetzes. Zwar enthält auch das Verbraucherkreditgesetz ein Widerrufsrecht, davon ausgenommen wurden aber gerade solche Kredite, die – wie bei Immobilienfinanzierungen üblich – über Grundschulden oder Hypotheken gesichert sind.

Der Schluß lautete: Da das Verbraucherkreditgesetz gilt, scheidet das Haustürwiderrufsgesetz aus. Mithin gibt es kein Widerrufsrecht nach dem Haustürwiderrufsgesetz. Da aber ein Widerrufsrecht nach dem Verbraucherkreditgesetz ebenfalls nicht besteht, existiert überhaupt kein Überrumpelungsschutz – ein eklatanter Verstoß gegen geltendes EU-Recht.

Dem Bankensenat war aber offensichtlich nicht wohl in seiner Haut. Er legte deshalb den zu entscheidenden Fall zunächst einmal dem Europäischen Gerichtshof vor. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist geradlinig (Entscheidung vom 13.12.2001 Az.: C-481/99): Auf Baufinanzierungsdarlehen findet das Haustürwiderrufsgesetz uneingeschränkte Anwendung. Wer nicht über sein Widerrufsrecht belehrt wurde, kann den laufenden Vertrag jederzeit widerrufen.

Ein weiteres Bonbon: Im Zuge der Rückabwicklung des nicht zustandegekommenen Vertrags erhält der Darlehensnehmer die gezahlten Zinsen vom Kreditgeber zurück. Inwieweit er sich für die Vergangenheit Vorteile aus der Darlehensausreichung anrechnen lassen muß, hängt vom Einzelfall ab.

Betroffene, denen in diesen Tagen noch eine nachträgliche Widerrufsbelehrung über ihr siebentägiges Widerrufsrecht zugestellt wird, wird dringend empfohlen vor ihrer Unterschrift anwaltlichen Rat einzuholen. Ebenso sollten Darlehensnehmer, die jetzt ihren Widerruf erklären möchten, zunächst Rechtsrat einholen.

Autor
Susanne Hahn